Filmkritik: The Royal Tenenbaums
Durch den fantastischen The Life Aquatic with Steve Zissou auf Wes Anderson aufmerksam geworden, habe ich mir die Criterion Disk von The Royal Tenenbaums bestellt. Der Film ist mindestens genauso außergewöhnlich wie sein Nachfolger “Aquatic“. Er ist eindeutig vom selben Regisseur mit demselben Pinsel gemalt, aber mit einer anderen Farbe.
Inhalt in Kurzform
Die drei Tenenbaum-Sprösslige, allesamt Wunderkinder, leben zusammen mit Ihrer Mutter (Anjelica Huston) auf dem Anwesen der reichen Famile. Der Vater, Royal Tenenbaum (Gene Hackman), hat die Familie früh verlassen und den Kontakt zu Frau und Kindern abgebrochen, ohne sich von seiner Frau jemals scheiden zu lassen. Mit dem Erwachsenwerden verlassen schließlich auch die Kinder das Elternhaus und verlieren sich ebenfalls aus den Augen.
Jedes der Kinder versagt trotz jugendlicher Genialität auf seine Weise im Leben. Margot (Gwyneth Paltrow), die als einziges der Kinder adoptiert worden ist, tingelt als Partygirl durch die Welt und stolpert in mehrere Kurzehen, bis sie schließlich als depressive Ehefrau des Psychiaters Raleigh St. Clair (Bill Murray) endet. Chas Tenenbaum (Ben Stiller), einst begnadeter Geschäftsmann, verliert bei einem Flugzeugunfall seine Ehefrau und eines seiner drei Kinder. Fortan ist er besessen vom Gedanken, seine zwei verbleibenden Kinder vor jeder noch so geringen Gefahr fern zu halten. Richie Tenenbaum (Luke Wilson) spielt sich als Tennisstar an die Weltspitze, versagt aber urplötzlich auf spektakuläre Weise und lebt fortan sein Leben als Denkmal seiner selbst, permanent auf Reisen.
Zweiundzwanzig Jahre nachdem er seine Familie verlassen hat, beschließt Royal schließlich, die Familie wieder zusammenzuführen und die Jahre, die er seine Famile im Stich gelassen hat, wiedergutzumachen. Er täuscht deshalb vor, an Magenkrebs erkrankt zu sein und nur noch wenige Wochen vor sich zu haben…
Filmkritik
Der Film wurde zu einem großen Teil als Komödie vermarktet, und die brillianten ersten Szenen stimmen den Zuschauer auch auf das Betrachten einer solchen ein. Wer die Inhaltsangabe gelesen hat, kann sich aber denken, dass das nur die halbe Wahrheit sein kann. Tatsächlich ist The Royal Tenenbaums ein sehr böser Film und vielleicht am Ehesten mit American Beauty oder besser noch About Schmidt zu vergleichen. Dabei schafft er allerdings eine perfekte Balance zwischen Ernst und Komödie. Das überaus skurrile Setting sorgt für den dazu nötigen Abstand zur Realität und damit die nötige Distanz der Zuschauers zu den Charakteren. Der Betrachter von Royal Tenenbaums kann jederzeit über diese ganzen gescheiterten Existenzen lachen, ohne jemals die Gefühle für sie zu verlieren.
Life Aquatic ist hier in vielerlei Hinsicht ein Nachfolger von The Royal Tenenbaums, denn dort hat Wes Anderson nicht nur mehrere der Hauptdarsteller übernommen, sondern auch die Skurrilität noch weiter ausgebaut.
Gene Hackman liefert in diesem Film eine Glanzleistung ab, indem er sich von einem Un-Vater und schwerreichen Ekelpaket zu einem Mann entwickelt, der versucht innerhalb seiner Familie zu retten was noch zu retten ist, ohne seinen Egoismus dabei jemals vollständig abzulegen. Neben Gene Hackman wäre allenfalls noch Jack Nicholson für diese Rolle in Frage gekommen – mir fallen keine anderen Schauspieler ein, die den Anforderungen gewachsen wären.
Auch der Rest der Darsteller ist in absoluter Hochform – hier gibt es keinen einzigen erwähnenswerten Ausreißer, der mir einfallen würde. Die Kinderdarsteller von Stiller, Paltrow und Owen Wilson sind genial ausgesucht, Ihren erwachsenen Pendants wie aus dem Gesicht geschnitten und spielen ihre Rollen erstklassig – auch, wenn sie nur in den ersten paar Minuten des Films zu sehen sind und kaum Dialog haben. Die schauspielerischen Leistungen aller Haupt- und Nebendarsteller hat mich ausnahmslos begeistert.
Anderson hat ein wunderschönes New York (der Hauptschauplatz des Films) auf die Leinwand gezaubert. Die Szenen sind aufwändig ausgeleuchtet, und man sieht jeder Einstellung an, dass nichts dem Zufall überlassen wurde. Vom Licht des Türspalts, das den Schauspielern das Gesicht in der Dunkelheit zweiteilt bis zum gefüllten Serviettenständer auf dem Küchentisch ist jede Szene und jedes Detail peinlich genau arrangiert. Wie ein Bildhauer seine Skulpturen formt, formt Anderson jede einzelne Kulisse nach seinen Wünschen, ohne auf Realismus übermäßige Rücksicht zu nehmen, sodass Farbkontraste und Konstellationen entstehen, die im wirklichen Leben so kaum zu finden sind. Es macht einfach Spaß, diesen Film nicht nur anzusehen, sondern jede Szene mit den Augen nach den Highlights abzusuchen. Skuril und harmonisch, bunt und weich zugleich.
Wie später auch in Life Aquatic harmoniert die Musik wunderbar mit den Bildern. Oft überspannt ein instrumentales Lied mehrere Szenen, vor Allem dann, wenn Alec Baldwin aus dem Off als den ganzen Film begleitender Erzähler ein neues Kapitel in der Geschichte der Familie Tenenbaum aufschlägt.
Es fällt mir sehr schwer zu sagen, was The Royal Tenenbaums denn nun eigentlich ist. Der Film ist zu schräg und zu übertrieben, um den Inhalt als Gesellschaftskritik abzustempeln. Jeder ist Schuld in diesem Film und dann auch wieder keiner. Den erhobenen Zeigefinger sucht man daher glücklicherweise ebenso vergeblich wie den Druck auf die Tränendrüse. Trotzdem wird – wenn auch selten – geweint und geschrien in diesem Film. Wer die absolute Harmonie sucht, einfach nur herzhaft lachen möchte oder einen ruhigen Film für Zwischendurch sucht, ist hier eindeutig falsch aufgehoben. Der Grundcharakter einer Komödie darf daher nicht über die allumfassende Schwere hinwegtäuschen.
Letztlich ist es also Anderson gelungene Balance zwischen Komödie und Ernst, die The Royal Tenenbaums auszeichnet. Freunde von facettenreichen Filmen, tollen schauspielerischen Leistungen, ungewöhnlicher Optik und beißendem Humor werden voll auf ihre Kosten kommen. Alle anderen seien gewarnt: The Royal Tenenbaums schafft es, innerhalb Sekunden von einem Lacher zur aufgeschnittenen Pulsader zu wechseln und damit davonzukommen.
Ein außergewöhnlicher Film eines Regisseurs, den man im Auge behalten sollte.